09.03.2011

Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger Potsdams, sehr geehrter Herr Jakobs, dieser offene Brief soll die Situation des „Archivs“ nachvollziehbar darstellen und Anregungen für den weiteren Dialog um die Sicherung des Kulturstandortes bieten.

archivbanner

Was ist das „Archiv“ ?
Es ist ein gemeinnütziges soziokulturelles Zentrum, das seit 1994 in Potsdam selbstverwaltete und nicht kommerziell orientierte Kultur für jung und alt erleb- und gestaltbar macht. Hier wird seit 17 Jahren – mit etwa 300 ehrenamtlichen Arbeitsstunden pro Woche – engagierte und von Parteien unabhängige Arbeit gegen Rechtsradikalismus, Neofaschismus, Sexismus und Homophobie geleistet und unterstützt. Im Mittelpunkt stehen Selbstbefähigung und Selbstbevollmächtigung von Menschen und damit die Entwicklung von unabhängigem, mündigem und kritischem Denken und Handeln. Dank seines vielseitigen und niedrigschwelligen Angebots, das sich von Konzerten über Lesungen und Theatervorführungen bis hin zu sportlichen und künstlerischen Betätigungsmöglichkeiten erstreckt, erfreut sich das Archiv eines hohen Bekanntheitsgrades und ist inzwischen zu einem der größten und langlebigsten alternativen Kulturzentren Brandenburgs geworden. Alles in allem stellt das Archiv eine unverzichtbare Bereicherung für die Kulturlandschaft und den Lebensstil der Landeshauptstadt dar und formt durch seine Arbeit deren Charakter schon seit fast zwei Jahrzehnten mit. In all dieser Zeit erhielt das „Archiv“ keine Förderung durch die Stadt und war trotzdem nie von Insolvenz bedroht. Das soll auch so bleiben. Allerdings sind jetzt einmalige Anstrengungen notwendig, um den Betrieb des „Archivs“ dauerhaft zu sichern, damit es auch in Zukunft seinen von Förderung unabhängigen soziokulturellen Beitrag in Potsdam leisten kann.
Für weitere Nachfragen wenden Sie sich bitte an: frage@archiv-potsdam.de

Entgegen einiger aktueller Pressemeldungen befindet sich das soziokulturelle Zentrum „Archiv“ auch weiterhin in Existenzgefahr ! Die Erteilung einer Baugenehmigung und die damit einhergehende Verlängerung der eingeschränkten Betriebserlaubnis bis zum 31.03.2012 stellen sicherlich eine spürbare Entspannung der Situation dar und so darf das Attribut „akut“ vor dem Substantiv „Existenzgefahr“ nun gestrichen werden. Allerdings ist der Standort „Archiv“ noch lange nicht dauerhaft gesichert. Fakt war, ist und bleibt, dass für eine vollständige Brandschutzsanierung, die für den dauerhaften Erhalt unabdingbar und für eine kulturelle Nutzung in vollem Umfang notwendig ist, insgesamt 500.000 € Kosten anfallen. Fakt ist weiterhin, dass die bisher bereitgestellte Zuwendung über 225.000 € lediglich 45 % der benötigten Gelder darstellt und voraussichtlich gerade mit knapper Mühe und Not für einen ersten Teil der Brandschutzsanierungen im Veranstaltungsbereich des Erdgeschosses ausreichen wird. So bleiben viele wesentliche Räumlichkeiten, wie etwa die 6 Bandproberäume in Untergeschoss, die Ateliers und der Sportraum im 1. Obergeschoss und die restlichen Vereinsräume im 2. Obergeschoss (um nur einige zu nennen), auf der Strecke und können nicht oder nur sehr eingeschränkt genutzt werden.

Bereits im Jahr 2009 beauftrage die Stadtverordnetenversammlung (StVV) den Oberbürgermeister (OB) den Standort „Archiv“ langfristig zu sichern, dafür einen Finanzierungsplan vorzulegen und alle bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu prüfen. (DS 09/SVV/0868)

Im Laufe des Jahres 2010 unternahm der Archiv e.V. in Zusammenarbeit mit der unteren Bauaufsichtsbehörde Potsdams sowie mit dem brandenburgischen Landesministerium für Umwelt, Verbraucherschutz und Gesundheit erhebliche Anstrengungen, um alle Rahmenbedingungen kritisch zu prüfen und realistisch abzuwägen. Im Text der nun vorliegenden Baugenehmigung sind alle relevanten Bedingungen geklärt und insbesondere in Hinsicht auf Lärmemission mit verbindlichen Auflagen vernünftig geregelt. Dieser Teil des Auftrages ist durch das konsequente Wirken des Archiv e.V. in Abstimmung mit den zuständigen Behörden erfüllt worden.
Bis heute, im Frühjahr 2011, liegt aber im Gegenzug seitens des OBs kein belastbarer Finanzierungsplan vor, der über die erste zum Zwecke der Brandschutzsanierung durch die StVV beschlossene Zuwendung hinausgeht. (DS 09/SVV/1081) Wie bereits erläutert, deckt diese Zuwendung aber lediglich 45 % der zur Brandschutzsanierung notwendigen Ausgaben ab.

Der Archiv e.V. erwartet vom OB nun ebenfalls konsequentes Handeln !
Auch im Hinblick auf eine langfristige Sicherung des Standortes bleibt neben den ausstehenden Geldern noch vieles zu tun. Es wäre etwa zu klären, wie sich die Kooperation zwischen dem Verein und der Stadt zukünftig gestalten soll. Zwar übertrug der OB die Verantwortlichkeit dafür an die Beigeordnete für Bildung, Kultur und Sport, Frau Dr. Magdowski (CDU), bedauerlicherweise kann diese dem aber nur unzureichend nachkommen. Zum Einen sind ihr in finanzieller Hinsicht durch den chronisch knappen Kulturhaushalt weitgehend die Hände gebunden und zum Anderen brachte sie bereits unmissverständlich ihren Unwillen hinsichtlich der Kooperation mit dem Archiv e.V. und ihr allgemeines Unverständnis für die Notwendigkeit der Existenz dieses Kulturstandortes zum Ausdruck. Es kann also von einer produktiven und vertrauensvollen Kooperationsperspektive mitnichten die Rede sein. Weiterhin ist es Tatsache, dass sich die nachbarschaftlichen Verhältnisse des „Archivs“ durch die fortschreitende Entwicklung der „Speicherstadt“ in der Leipziger Straße im Laufe der nächsten Jahre drastisch – hin zu einem mietpreisintensiven Umfeld – verändern werden. In diesem Zusammenhang ist deutlich auf den Prozess der Gentrifizierung hinzuweisen, der in Potsdam in sehr konzentrierter Form auftritt und der für ehrenamtlich getragene Einrichtungen als Marktteilnehmer, wie etwa den Archiv e.V., eine große Gefahr der endgültigen Verdrängung birgt. Um dem entgegenzuwirken und so die langfristige Sicherung des Standortes voranzutreiben, könnte der OB:

1. alle Investoren, die in der „Speicherstadt“ tätig sind, über die Existenz des „Archivs“ aufklären und sie verpflichten, auch die zukünftigen Anwohner (Mieter und Eigentümer) im Vorfeld darüber zu informieren. Dies ist bisher nicht der Fall.

2. sich konsequenter als bisher öffentlich zum Standort „Archiv“ bekennen.

3. sich als Weisungsberechtigter gegenüber des Kommunalen Immobilien Service dafür einsetzen, dass mit dem „Archiv“ ein tragfähiger (z.B. Miet-) Vertrag ausgehandelt wird, der dem Verein erlaubt, seine soziokulturelle Arbeit langfristig abgesichert und jenseits kommerziell orientierten Denkens fortzusetzen.

Nicht nur die StVV hat in diversen Beschlüssen ihren deutlichen Willen bekundet, den soziokulturellen Standort „Archiv“ zu erhalten und dauerhaft zu sichern, sondern auch die vielen Bürgerinnen und Bürger der Stadt Potsdam, die im Zuge der Bürgerhaushalte 2010 und 2011 dem „Archiv“ ihre Stimme gaben ! Wenn die zahlreichen Versprechen von Bürgerbeteiligung und dem Erhalt des „Archivs“ nicht zu leeren Worthülsen verkommen sollen, ist jetzt und in Zukunft entschlossenes Handeln gefragt !

Der Archiv e.V. (bleibt !) Potsdam, den 09.03.2011

Offener Brief an den Oberbürgermeister Jan Jakobs